
In mir keimte Anfang 2018 der Gedanke das alle Menschen gärtnern sollten. Wieso? Weil ich der Meinung war, dass man durch den Anbau von Gemüse ein Grundbedürfnis befriedigt, das tief in uns schlummert. Überlegt mal was die Menschen Jahrhunderte oder besser gesagt Jahr-tausende lang machen mussten um satt zu werden? Richtig, jagen, fischen, sammeln und später Gemüse kultivieren, diese Tätigkeiten sind Teil der sogenannten Urproduktion. Es ist also schon immer ein Grundbedürfnis gewesen sich seine Nahrung zu beschaffen. Durch Sesshaftigkeit und Landwirtschaft wurde unsere Zivilisation zu einer dominierenden Lebensform auf diesem Planeten. Im Grunde genommen war das was ich für mich entdeckt habe in vergangenen Zeiten eine Selbstverständlichkeit, bis die Menschen angefangen haben die Landwirtschaft zu modernisieren und industrialisieren. Bevor Chemiekonzerne die Agrochemie erfunden haben klappte das mit der Ernährung der Menschheit doch auch. Natürlich gab es auch Hungersnöte, aber die gibt es selbst heute noch. Im Grunde genommen lernt man wirklich frische Erzeugnisse nur durch einen eigenen Gemüsegarten kennen, es sei denn man ist Sternekoch und hat die besten Bezugsquellen direkt vom Erzeuger. Für die breite Masse ist erntefrisch hingegen eine Seltenheit. Auch in Biomärkten erkennt man als Selbstversorger schnell, dass viele Erzeugnisse mehrere Tage alt und keineswegs frisch sind.
Als Webentwickler baue ich seit 20 Jahren Apps, Webseiten und mache das SEO für meine Firma. Informationen über das Internet zu teilen war Teil meines Berufs, also überlegte ich, ob es nicht eine gute Idee wäre das Wissen von meinem Opa und mir über eine Webseite zu tei-len. Naja der erste Gedanke daran wurde auch schnell wieder in die Schublade gesteckt. Wie soll ich das alles nur schaffen: Garten, Familie und mein Unternehmen? Es erschien mir unmöglich alles gemeinsam schaffen zu können. Mit dem Entschluss keine Webseite zu machen, startete ich im Februar mit den ersten Planungen und überlegte mir, wie ich meine Erntesaison verlängern könnte. Klar, ein Gewächshaus musste her, aber die Preise für professionelle Glasgewächshäuser wa-ren sehr hoch. Ich suchte im Internet nach „Do It Yourself“ Gewächs-haus und klickte auf Bildersuche, schnell erblickte ich eine Konstruktion die wie ein Folientunnel aussah und von den Amerikanern als „HoopHouse“ bezeichnet wurde. „Cool“ dachte ich mir, das will ich haben! Damit war das Kernprojekt für 2018 definiert und ich fertigte einige Zeichnungen an, um im März frühzeitig mit dem Projekt starten zu können. Nach meiner ersten Kalkulation lagen die Kosten für ein 15 Quadratmeter Gewächshaus bei unter 200 Euro, die Bauzeit berechnete ich pauschal mit 3 Tagen: Basis, Rahmen, Folie aufziehen. Ich entschloss mich meine Anbaufläche im Vergleich zu 2017 zu verdoppeln. Ich wollte wissen wo meine Grenzen liegen. Was würde ich als „OneManShow“ schaffen, könnte ich mit der Steigerung unsere Zukäufe komplett eliminieren und wirklich ein richtiger Selbstversorger wer-den?
Die Gartensaison startete 2018 am 5. März, ich bereitete einen Teil meiner Ackerfläche vor und legte 2 Tage später die ersten Reihen an. Erbsen und Dicke Bohnen wurden gesät, Zwiebeln und Knoblauch wurden einige Tage später gesteckt. Mitte März ging es dann auch mit dem Vorziehen los, Paprika, Tomaten, Aubergine, Peppino, Physalis, Möhren, Kohlrabi, Zucchini, Artischocken, Spargel, Tomaten und viele weitere Gemüse,- und Kräutersorten wurden in Schalen und Töpfchen gesät. Das zog sich alles bis zum 27. März. Ich setzte die ersten Frühkartoffeln und hatte dann ein paar Tage Zeit, um die nächsten Kulturen vorzubereiten wie zum Beispiel Kürbis, Melone, Gurken, Blumenkohl, Staudensellerie und noch einiges mehr. Eine Liste aller Kräuter und Gemüsesorten, die ich anbaue kommt an späterer Stelle im Kapitel Selbstversorgung. Mein Plan war es vor dem Bau des HoopHouses möglichst viel auf dem Acker angelegt zu bekommen, und in der Wachstumsphase den Bau zu realisieren.
Im April war es dann soweit, während viele Samen gesetzt und die ersten Keimlinge schon zu sehen waren startete ich das Projekt HoopHouse. Aus den geplanten 3 Tagen wurden 7, weil ich das gewünschte Material für die Rundbögen nicht bekommen konnte, aber Mitte April stand das DIY Gewächshaus planmäßig und somit war mein Jahresprojekt zur Erweiterung meiner Erntezeiträume bereits realisiert. Es lief alles wie geschmiert, die Samen keimten, ich legte Stück für Stück den Garten an und alles entwickelte sich prächtig. Doch dann blieb irgend-wann im April der Regen aus, besser gesagt es regnete wenig, zu wenig. Der Regen wollte nicht mehr fallen wie gewohnt. Im Mai machte ich mir die ersten Sorgen. Ich bemerkte das ich ohne Regen einen Vollzeitjob im Garten leisten müsste, um den Sommer zu überstehen. Ich hatte Angst zu versagen. Im Juni blieb der Regen vollständig aus, viele Stunden musste ich täglich im Garten gießen, mulchen, pflanzen, ernten und dann noch die Ernten verarbeiten. Es wurde immer härter. Der Aufwand, alles am Leben zu halten wurde zu einer Tagesaufgabe. Die Trockenheit ging weiter, den ganzen Juni fiel kein Tropfen Regen, aber ich wollte nicht aufgeben. Die Pflanzen offenbarten ihre ersten Schwächeerscheinungen. Brennnesseln und Löwenzahn verwelkten am Gartenrand, Gemüse wie Paprika und Tomaten zeigten Hitzeschäden. Also musste ich anfangen diese zu schattieren, um sie vor der harten Sonne zu schützen. Ich konnte tagsüber immer wieder geschwächte Igel im Garten finden, die ich mit Wasser und Katzenfutter stärken musste damit sie nicht verendeten. Die Vögel in meinem Garten versorgte ich mit kleinen Schalen die ich mit Steinen und Wasser füllte, auch viele Insekten erfreuten sich an den Wasserspendern. Ich realisierte das hier etwas sonderbares vorging! Es fühlte sich so an als würden wir im süd-lichsten Italien leben. Es war heiß und trocken, das Wort Erderwär-mung manifestierte sich bei jedem Gartenrundgang. In den gängigen Medien hingegen zeigte man badefreudige Menschen an Seen und volle Biergärten. „Was wohl die anderen Gärtner und Landwirte zu diesem Phänomen sagen?“ Diese Frage geisterte mir ständig im Kopf herum, also suchte ich nach Antworten. Ich hatte das Gefühl das ich meine Beobachtungen mit anderen teilen müsste, ich hatte das Gefühl das etwas nicht stimmt. Auf einmal kam es mir so vor, als würde ich auf Sizilien leben- dabei stand ich mitten in Deutschland! Dem Land wo der Regen in der Vergangenheit nur selten fehlte…
Da ich aus Zeitmangel keine Webseite realisieren wollte nutzte ich ab Juni 2018 die Sozialen Netzwerke um mich auszutauschen. Auf meine Beobachtungen zur langanhaltenden Trockenheit gab es erstmal kaum Reaktionen. Viel mehr schien es den meisten Menschen durch meine Fragen erst bewusst zu werden das da etwas Ungewöhnliches im Gange war, aber kaum einer sah ein Problem darin. Postings zur Trockenheit waren nicht sonderlich gut gefragt. Es war so als wollten viele Menschen gar nicht darüber nachdenken oder darin ein Problem sehen, ganz nach dem Motto „Kopf in den Sand stecken dann sieht mich auch keiner“. Ich aber sah, wie die Felder immer trockener wurden, die Böden Risse bekamen und Feldkulturen unter dem fehlenden Re-gen litten. Diese Fotos postete ich auf Instagram am 4. Juli, aber es interessierte nicht sonderlich viele. Schöne Bilder wollten die Menschen sehen und keine trockenen Böden. Drei Parzellen neben meinem Grundstück hatte ein Bauer gut 2 Hektar Ackerbohnen stehen, die Pflanzen verkümmerten von Tag zu Tag bis sie irgendwann 14 Tage später braun gebrannt und vertrocknet dastanden. Auch dieses Bild postete ich am 14. Juli, zu dieser Zeit debattierte man in den Socials eher über Flüchtlinge. Verdorrte Felder und sterbende Bäume interessierten keinen. Ich machte mir Sorgen, die Trockenheit hielt an und am 25. Juli waren es bereits 8 Wochen ohne einen Tropfen Regen. Das immergrüne Grundstück meiner Nachbarin war mittlerweile gelb. In der Mitte dieser gelben vertrockneten Wiese stand ein Baum, auch seine Blätter wurden gelb bis er sie dann fallen ließ. In den Socials konnte man ein Freudenfest vernehmen, die Menschen freuten sich über das gute Wetter, die Biergärten waren rappelvoll und auch sonst beklagte sich kaum einer. Im Gegenteil, alle waren glücklich so einen Jahrhundertsommer zu erleben. Ich empfand das als surreal, aber ich hatte keine Zeit mir darum weitere Gedanken zu machen, der Garten war mir wichtiger. Ich lernte immer mehr Menschen kennen die mei-ne Leidenschaft teilten, viele fragten mich wie ich dies mache und das anbaue, ich beantwortete täglich viele Fragen und merkte das ich ganz schön viel über das Thema wusste. So wie mein Opa auf jede Frage immer eine Antwort hatte, war ich es nun, der die Fragen Anderer mit Leichtigkeit beantworten konnte. Es gefiel mir, Menschen zu inspirie-ren, ihnen ökologische Lösungen für Schädlingsbefall nennen zu kön-nen und so nutzte ich die Socials weiter, um ein paar schöne Fotos aus meinem neuen nachhaltigen Leben zu zeigen und gleichzeitig konnte ich jenen helfen die Probleme hatten. Heute kennen mich jedenfalls die Meisten unter dem Pseudonym „Don Giardino“. Die Kombination ergab für mich einen spontanen Sinn, denn mein Opa wurde in Italien immer Don Giovanni genannt, weil er so ein Wohltäter war, und im-mer viel von seinem Gemüse an die armen Leute im Dorf verschenkte. Giardino hingegen heißt Garten auf Italienisch. Es war ein spontaner Einfall mit dem ich mich gut identifizieren konnte. Mein Opa als „Gön-ner der Samen“ und mein wunderschöner Gemüsegarten ergaben zu-sammen Don Giardino. Meine Beiträge erhielten immer mehr Akzep-tanz. Nachhaltigkeit und Gärtnern wurde eine immer coolere Sache, also zeigte ich immer mehr Bilder meiner Ernten, teilte meine Rezepte und versuchte jenen mit Tipps unter die Arme zu greifen, die noch we-nig Erfahrung im Anbau von Gemüse hatten. Es wurden täglich mehr und auch komplette Neueinsteiger konnte ich inspirieren einen Gemü-segarten anzulegen oder auf dem Balkon etwas Gemüse anzubauen. Das gab mir ein tolles Gefühl. Es ist schön Menschen mit einfachem Wissen zu etwas sinnvollem inspirieren zu können, aber das größte Problem der Sozialen Netzwerke ist, dass sie schnelllebig sind und we-sentliche Inhalte auch mal unbeachtet bleiben können. Zudem wurde der Zeitaufwand immer höher. Es wurden immer wieder dieselben Fragen gestellt, die Menschen sahen zwar die Möglichkeiten, aber das bedeutet noch lange nicht das sie wirklich wussten wie ich zu meinen Ergebnissen komme oder wieso ich dieses Projekt ins Leben gerufen habe. Immer mehr Menschen interessierten sich für meinen Garten sowie meine Lebenseinstellung, fragten mich wie ich dünge, gieße, wo die Samen herkommen, wie ich meine Nahrung haltbar mache und wollten meine Rezepte. Die vielen Antworten kosteten Zeit, die ich kaum hatte, und dennoch versuchte ich jeden zufrieden zu stellen so gut ich eben konnte. Irgendwann stellte man mir auf Twitter und auch auf Instagram die Frage, wieso ich darüber kein Buch schreiben wür-de? Ich sollte mein Wissen teilen. Tja, dass diese Frage von mir über-dacht und ernst genommen wurde kann man ja an diesen Zeilen er-kennen, aber zu dem damaligen Zeitpunkt war ich einfach noch nicht so weit. Ich hatte viel gelernt und viel Wissen von meinem Opa, aber ich konnte das Ganze noch nicht in Einklang bringen, um zu sagen das ich ein Buch schreiben würde. Ich steckte noch mitten in einem Prozess der Selbstfindung. Mir war es wichtiger Gemüse zu produzieren und noch mehr praktische Erfahrungen zu sammeln. Auch wenn ich in den sozialen Netzwerken keine Antworten zur langanhaltenden Trockenheit bekommen habe, so wurden es allerdings von Tag zu Tag mehr Men-schen die sich darüber Gedanken machten. Ich war nicht alleine, ich habe viele wundervolle Menschen kennengelernt, die so wie ich gerne im Garten Gemüse anbauten. Das gefiel mir sehr, es gab meinen Ta-ten noch mehr Sinn, es bestätigte mich weiter auf dem richtigen Kurs zu sein.
Die Saison kostete mich jedenfalls massiv Überstunden im Garten, mit so einer dramatischen Situation, die meine Ernteergebnisse bedrohte, hatte ich im Leben nicht gerechnet. Wie gesagt, in Deutschland war es extrem ungewöhnlich über mehrere Monate keinen Regen zu sehen. Ich schaffte es, alles in meinem Garten am Leben zu halten, ich lernte in einer Extremsituation Kontrolle zu behalten und die Bedrohung Klimawandel profitabel für mich auszunutzen. Mein mediterraner Gartenstil, den ich Dank meines Großvaters erlernt hatte war mir hier die größte Hilfe. Auf Sizilien waren solche Zustände die Regel und das seit Jahrzehnten, da regnete es in manchen Jahren drei oder vier Monate nicht. Das Saatgut von meinem Großvater war darauf optimiert mit wenig Wasser klarzukommen und gemeinsam mit meinen Erkenntnissen auf meinem Grund und Boden sowie meiner Klimazone verbuchte ich einen Erfolg nach dem anderen. Ich trotzte der Trockenheit, und brachte einige Hobbygärtner mit meinen Ergebnissen zum Staunen. Als im Herbst dann endlich wieder etwas Regen vom Himmel gekommen ist, feierten die Menschen in den Socials, posteten Fotos und Videos der Freude, so etwas paradoxes hatte ich in Deutschland noch nie er-lebt, aber ich war auch erleichtert und glücklich weniger gießen zu müssen.
Das Jahr neigte sich dem Ende zu und am 15. November gab es noch köstliche frische Tomaten in meinem DIY HoopHouse. Am 17. November erntete ich verrückter Weise noch eine Hand voll Erdbeeren. An einen Satz aus dem Jahr 2018 erinnere ich mich noch ganz besonders gut, er lautete „Das Jahr 2018 war ein Ausnahmejahr.“ Dieser Satz fiel in Bezug auf die Klimaerwärmung im Herbst 2018 regelmäßig in den Medien und auch von Politikern wie Frau Merkel wurde dieser Satz oft genutzt. Ich war mir da nicht so sicher! Das war alles so außergewöhnlich, so lange kein Regen in Deutschland! Im Herzen wünschte ich mir, dass es wirklich nur ein Ausnahmejahr gewesen wäre. Aber ich bin nicht der leichtgläubige Kerl, ich musste Gegenmaßnahmen einleiten, der Wassermangel war eine Warnung auf die ich reagieren musste. Ich überlegte und entschloss mich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, ein Carport mit transparentem Dach musste her. Damit wollte ich Regenwasser sammeln und gleichzeitig noch mehr meiner heiß geliebten Tomaten anbauen. Ich kaufte das Material und baute mir einen 15 qm Carport mit transparentem Dach im Zentrum meiner Anbaufläche. Anfang Dezember war der Bau abgeschlossen und effektiv umgesetzt wie ich mir das vorgestellt hatte. Nun konnte ich mehr Regenwasser sammeln, ich war gerüstet für eine weitere Dürre. (So nannte man den Sommerzustand mittlerweile.) Rückblickend war dieses Jahr sehr bewegend für mich, nicht nur die Erkenntnis das ich das Wissen meines Großvaters durch eigene Erfahrungen immer weiter ausbauen konnte und neue Erkenntnisse gewonnen hatte. Nein, dieses Jahr war auch wegen anderer Ereignisse ein ganz Besonderes. Der Klimawandel von dem Wissenschaftler Jahrzehnte lang gesprochen hatten, schien plötzlich sehr reale und bedrohliche Auswirkungen zu zeigen.
Fortsetzung: Kapitel I - 2019 Projekt: Mitversorger
Comments